Glossar

Whole Institution Approach 

Definition nach Holst (2023,2024):

Der Begriff Whole Institution Approach (WIA) bezeichnet einen umfassenden Ansatz, mit dem Bildungseinrichtungen Nachhaltigkeit in alle Bereiche ihres Handelns und Lernens integrieren. Ziel ist es, das Leitprinzip der Nachhaltigkeit nicht nur zu lehren, sondern auch konsequent vorzuleben – also das „walk the talk“ umzusetzen. 

Der WIA wird als kontinuierlicher und partizipativer Prozess organisationalen Lernens verstanden, die auf institutionelle Kohärenz abzielen. Sie verbinden dabei formale und informelle (‚versteckte‘) Curricula, indem Lernende nicht nur im Unterricht, sondern auch durch alltägliche Erfahrungen und Praktiken in der Institution Nachhaltigkeit erfahren. 

Laut der systematischen Literaturanalyse von Holst (2023) lässt sich der WIA durch folgende Kernelemente charakterisieren: 

  • Fünf Prinzipien: Kohärenz, kontinuierliches Lernen, Partizipation, individuelle Verantwortung und langfristiges Engagement.
  • Sieben Handlungsfelder: Governance, Curriculum, Campus/Organisation, Community/Netzwerke, Forschung (insbesondere in der Hochschulbildung), Kapazitätsaufbau und Kommunikation.
  • Organisationskultur: die gelebten Werte, Normen und sozialen Regeln, die sowohl Bedingung als auch Ergebnis eines WIA darstellen.
  • Rahmenbedingungen: politische Priorisierung, langfristige Finanzierung und Zugang zu Expertise sind entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung.

Der WIA verfolgt einen systemischen und holistischen Ansatz, der weit über „add-on“-Massnahmen hinausgeht. So wird Nachhaltigkeit als grundlegendes Paradigma von Bildung und als Chance verstanden, Lernumgebungen so zu gestalten, dass sie selbst zu Modellen für eine nachhaltige Gesellschaft werden. 

Nachhaltigkeit vs Nachhaltige Entwicklung 

Definition nach Hauff (2021):

Nachhaltigkeit 

Der Begriff Nachhaltigkeit stammt ursprünglich aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts. Er bezeichnete dort das Prinzip, nicht mehr Holz zu schlagen, als durch Aufforstung nachwachsen kann. Dieser Gedanke der dauerhaften Regenerierbarkeit von Ressourcen bildet bis heute den Kern des Verständnisses von Nachhaltigkeit. 

In der gegenwärtigen wissenschaftlichen und politischen Diskussion ist Nachhaltigkeit jedoch kein enger Fachbegriff mehr, sondern ein vielschichtiges, interdisziplinäres Leitkonzept. Es wird in unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten verwendet, wobei stets die Idee im Zentrum steht, ökologische Tragfähigkeit mit sozialen und ökonomischen Ansprüchen in Einklang zu bringen. 

Hauff (2021) hebt hervor, dass „Nachhaltigkeit“ häufig als grundlegendes Prinzip verstanden wird, während „Nachhaltige Entwicklung“ die dynamische Umsetzung dieses Prinzips beschreibt. Nachhaltigkeit bezeichnet damit einen Zustand oder eine Zielvorstellung, nachhaltige Entwicklung hingegen den Prozess dorthin. 

 

Nachhaltige Entwicklung 

Der Begriff Nachhaltige Entwicklung beschreibt ein normatives Leitbild, das ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen von Entwicklung gleichrangig berücksichtigt. Es wurde international mit dem Brundtland-Bericht (1987) und der Definition, „Entwicklung so zu gestalten, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden“, geprägt . 

Nachhaltige Entwicklung ist ein offenes, dynamisches Konzept, das bewusst keine eindeutige, abschliedssende Definition hat. Diese Offenheit gilt als Stärke, weil sie interdisziplinäre und politische Anschlussfähigkeit ermöglicht, aber auch als Schwäche, weil sie zu Unschärfe und Interpretationsspielräumen führt. So kann das Konzept sowohl für tiefgreifende Transformation als auch für inkrementelle Anpassungen verwendet werden. 

Zentrale Merkmale von Nachhaltiger Entwicklung nach Hauff (2021) sind: 

  • Drei Dimensionen: Ökologie, Ökonomie, Soziales (oft als „Drei-Säulen-Modell“ dargestellt).
  • Inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit: faire Verteilung von Ressourcen zwischen heutigen und zukünftigen Generationen sowie innerhalb der gegenwärtigen Weltbevölkerung.
  • Normativer Charakter: Nachhaltige Entwicklung ist kein deskriptiver Zustand, sondern eine Leitidee für gesellschaftliches Handeln.
  • Politische Verankerung: durch internationale Agenden (z. B. Agenda 21, Sustainable Development Goals).

Gleichzeitig betont Hauff (2021), dass die beiden Begriffe Nachhaltigkeit und Nachhaltige Entwicklung „umkämpfte Konzepte“ sind. Denn es gibt sowohl konsensuale Kernelemente als auch konkurrierende Deutungen darüber, wie ökologische Tragfähigkeit, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit konkret auszubalancieren sind. 

Bildung in Nachhaltiger Entwicklung

Definition nach Vare & Scott (2007) und Pettig & Ohl (2023) 

Bildung in Nachhaltiger Entwicklung (BNE, international Education for Sustainable Development, ESD) bezeichnet einen Bildungsansatz, der eng mit der Gestaltung einer sozial-ökologischen Transformation verbunden ist. Ziel ist es, Lernende zu befähigen, sich mit den Widersprüchen, Unsicherheiten und Konflikten nachhaltiger Entwicklung auseinanderzusetzen und aktiv an der Aushandlung zukunftsfähiger Lebensweisen teilzunehmen. 

Zentrale Merkmale: 

Normativer Bezugspunkt: Nachhaltige Entwicklung dient als Leitbild, wird aber nicht als festes Ziel verstanden, sondern als umkämpftes und offenes Aushandlungsfeld. 

Kontroversität und Unsicherheit: Anstatt einfache Lösungen vorzugeben, rückt BNE die Komplexität wissenschaftlicher, politischer und ethischer Fragen in den Mittelpunkt. 

Handlungsorientierung: Lernende sollen nicht nur Wissen erwerben, sondern auch die Fähigkeit entwickeln, gesellschaftliche Transformationsprozesse kritisch mitzugestalten. 

Politische Dimension: BNE versteht Lernende nicht nur als Konsument:innen, sondern als politische Subjekte, die in demokratische Aushandlungsprozesse eingebunden sind. 

Strömungen der BNE: 

In Anlehnung an Vare & Scott unterscheiden Pettig & Ohl (2023) drei Zugänge: 

BNE 1 – Instrumentell 

  • Fokus: Vermittlung von Expertenwissen (z. B. Klimawandel, Ressourcenschutz).
  • Ziel: Verhaltensänderung im Sinne nachhaltiger Praktiken (z. B. Energiesparen, Recycling).
  • Kritik: Gefahr der Belehrung oder Indoktrination, da richtige Lösungen vorgegeben werden.

BNE 2 – Emanzipatorisch 

  • Fokus: Förderung von Kritik- und Reflexionsfähigkeit.
  • Lernende sollen Unsicherheiten, Kontroversen und Grenzen des Expertenwissens erkennen.
  • Ziel: Mündigkeit im Umgang mit Nachhaltigkeitsfragen – nicht blosses Befolgen, sondern selbstständiges Urteilen und Entscheiden.
  • Bedeutung: Stärkt die Fähigkeit, Ambiguität auszuhalten und Pluralität produktiv zu nutzen.

BNE 3 – Transformativ 

  • Fokus: Auseinandersetzung mit den Widersprüchen nachhaltiger Entwicklung (z. B. Wachstum vs. Degrowth).
  • Lernende entwickeln eigene Fragen und Perspektiven; Zukunft wird als offen und gestaltbar verstanden.
  • Ziel: Demokratische Teilhabe an gesellschaftlicher Transformation.
  • Bedeutung: Macht BNE zu einem politischen und emanzipatorischen Projekt, das nicht nur individuelles Verhalten adressiert, sondern auch strukturelle Veränderungen.

Nachhaltigkeitswissenschaft

Definition nach Pohl, Hirsch Hadorn (2008):

Die Nachhaltigkeitswissenschaften (Sustainability Sciences) beschäftigen sich mit der Frage, wie gesellschaftliche Entwicklungen innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit gestaltet werden können. Sie haben das Ziel, wissenschaftliches Wissen so zu erarbeiten, dass es einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlich relevanter, komplexer Probleme leistet . 

Zentrale Merkmale: 

  • Problemorientierung: Nachhaltigkeitswissenschaften richten sich auf realweltliche Probleme, wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Energie- oder Ernährungssicherheit.
  • Transdisziplinarität: Sie überschreiten klassische Fächergrenzen und beziehen ausserwissenschaftliche Akteure (z. B. Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) in den Forschungsprozess ein.
  • Integration von Wissen: Sie verbinden natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Perspektiven, um systemisches Wissen, Zielwissen und Transformationswissen zu generieren.
  • Gestaltungsanspruch: Anders als rein analytische Wissenschaften haben die Nachhaltigkeitswissenschaften einen normativen Bezug: Sie wollen aktiv zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

Besondere Herausforderungen: 

  • Umgang mit Unsicherheit: Viele Fragen nachhaltiger Entwicklung sind von Unsicherheiten und Kontroversen geprägt.
  • Interdisziplinäre Verständigung: Unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und Begriffe müssen aufeinander abgestimmt werden.
  • Ko-Produktion von Wissen: Damit Ergebnisse gesellschaftlich relevant und anschlussfähig sind, braucht es Dialog- und Aushandlungsprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis.

Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaft

Definition nach Wilhelm & Rinaldi (2023):

Die Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaft beschäftigt sich mit der Frage, wie die zentralen Anliegen und Methoden der Nachhaltigkeitswissenschaften in Lehr- und Lernprozesse übersetzt werden können. Dabei geht es nicht nur um Wissensvermittlung, sondern um die Gestaltung von Lernumgebungen, die es Studierenden ermöglichen, die komplexen, kontroversen und normativ aufgeladenen Fragestellungen nachhaltiger Entwicklung zu verstehen und zu bearbeiten.

Zentrale Merkmale:

  • Problemorientierung: Analog zur Nachhaltigkeitswissenschaft zielt die Didaktik auf die Bearbeitung von realweltlichen Problemen wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder globale Ungleichheiten.
  • Inter- und Transdisziplinarität: Lernarrangements beziehen unterschiedliche wissenschaftliche Perspektiven ein und öffnen sich für ausserwissenschaftliche Akteure (z. B. Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft).
  • Reflexivität und Normativität: Lernende setzen sich nicht nur mit Fachinhalten auseinander, sondern reflektieren auch eigene Werte, Haltungen und die normativen Prämissen nachhaltiger Entwicklung.
  • Kompetenzorientierung: Ziel ist es, Gestaltungskompetenzen aufzubauen, die dazu befähigen, komplexe Nachhaltigkeitsprobleme kritisch zu analysieren und konstruktiv an deren Lösung mitzuwirken.

Didaktische Herausforderungen: 

  • Balance zwischen Normativität und Offenheit: Nachhaltige Entwicklung ist ein normativer Bezugspunkt. Didaktisch gilt es, dies transparent zu machen, ohne in Indoktrination zu verfallen.
  • Umgang mit Komplexität und Unsicherheit: Lernende müssen befähigt werden, mehrdeutige, kontroverse und unsichere Wissensbestände produktiv zu verarbeiten.
  • Lehrer:innenbildung: In der Ausbildung von Lehrpersonen wird die Didaktik der Nachhaltigkeitswissenschaft relevant, um Nachhaltigkeit fachlich, fachdidaktisch und überfachlich zu verankern und Multiplikator:innen für nachhaltige Entwicklung zu gewinnen.

Transformatives Lernen

Definition nach Petting & Ohl (2023) sowie Rehm et al (2025) -> unveröffentlicht:

Transformatives Lernen bezeichnet einen reflexiven Bildungsprozess, in dem Lernende ihre Selbst-, Welt- und Menschenbilder kritisch hinterfragen und verändern können. Es setzt an krisenhaften Erfahrungen und Irritationen an, die als Auslöser für tiefgreifende Lernprozesse dienen. 

Zentrale Merkmale 

  • Reflexivität: Lernende prüfen ihre Überzeugungen, Werte und Deutungsmuster. Durch kritische Reflexion und Dialog mit anderen können bestehende Perspektiven irritiert, überprüft und neu integriert werden.
  • Krisen als Ausgangspunkt: Erfahrungen von Widerspruch, Unsicherheit oder Überforderung werden zum Anlass, gewohnte Denk- und Handlungsmuster zu überdenken.
  • Individuelle und kollektive Dimension: Transformatives Lernen betrifft die persönliche Bildungsbiografie ebenso wie die gesellschaftliche Mitgestaltung nachhaltiger Zukunftsprozesse.
  • Ergebnisoffenheit: Ziel ist nicht die Einübung vorgegebener Verhaltensweisen, sondern die Fähigkeit, mit Komplexität, Unsicherheit und Kontroversität produktiv umzugehen.

Transformatives Lernen im Kontext von Bildung in Nachhaltiger Entwicklung (BNE) 

Pettig & Ohl (2023) verorten transformatives Lernen im Rahmen einer BNE 3, die Lernende nicht nur mit Wissen und Reflexionskompetenz ausstattet, sondern sie als politische Subjekte in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse einbindet. Bildung wird so zum Raum, in dem nachhaltige Entwicklung nicht als festes Ziel, sondern als offene, konflikthafte und gestaltbare Zukunft verstanden wird.